Vom Ministerialgebäude des Herzogtums zum Dienstgebäude des Justizministeriums

Sitz des Hessischen Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat ist seit 1968 das ehemalige Ministerialgebäude des Herzogtums Nassau, das zwischen 1838 und 1843 errichtet wurde. Seither wechselte das Gebäude mehrmals seinen Zweck und sein Erscheinungsbild.

Historische Voraussetzungen für den Bau des Ministerialgebäudes

Im Jahr 1815 wurde Wiesbaden offiziell Regierungshauptstadt des 1806 infolge der napoleonischen Kriege entstandenen Herzogtums Nassau. Die zentrale Konzentration aller oberen Verwaltungsbehörden in der Stadt führte zu einem erhöhten Bedarf an Räumlichkeiten für die in der Verwaltung tätigen Beamten. Zunächst waren die Behörden in herzoglichen Immobilien, vor allem im Alten Schloss mit seinen Nebengebäuden untergebracht. Dies galt auch für das Ministerium, die Ministerialkanzlei, für die Rechnungskammer und die Staatskasse. Auch die nassauischen Landstände mussten, da das Herzogtum über kein Ständehaus verfügte, in anderen Nutzbauten ihre Sitzungen abhalten: Die Deputiertenkammer tagte in einem Saal der Stadtschule am Marktplatz, die Herrenbank hingegen im Bibliotheksaal des alten Regierungsgebäudes.

Anfang der 1830er Jahre entschied Herzog Wilhelm seine Residenz vom Biebricher Schloss am Rheinufer in die Wiesbadener Innenstadt zu verlegen. Der Bau des neuen Stadtschlosses sollte an der Stelle des Alten Schlosses entstehen, so dass dieses samt den Nebengebäuden niedergelegt werden musste und die Umquartierung der dort ansässigen Behörden zwingend erforderlich war. Daher fiel fast gleichzeitig der Entschluss für den Bau eines Verwaltungsgebäudes.

Ministerialgebäude des Herzogtums Nassau

Für den ersten Verwaltungsneubau des Herzogtums Nassau, der nicht nur die Ministerialverwaltung und -kanzlei sowie die Rechnungskammer und die Staatskasse beherbergen, sondern zugleich Dienst- und repräsentativer Wohnsitz des Staatsministers und Tagungsort der nassauischen Landstände sein sollte, wurde ein „Architektenwettbewerb“ unter den nassauischen Baumeistern ausgelobt. Als Standort war der an der Luisenstraße, am Rande der Stadt gelegene „Herrengarten“ des 1834 verstorbenen Staatsministers Ernst Franz Ludwig Marschall zu Bieberstein vorgesehen, den der Herzog nach dessen Tod für den Bau erworben hatte.

Den „Architektenwettbewerb“ gewann der noch junge „Bauverständige“ Carl Boos. Mit dem Bau der dreiflügeligen, dreigeschossigen, an italienische Renaissance-Gebäude erinnernden Anlage wurde 1838 unter Herzog Wilhelm begonnen. Die Dekoration der Repräsentationsräume in der Beletage übernahm Friedrich Wilhelm Pose, der gemeinsam mit seinem Bruder auch an Teilen der Raumausstattung des neuen Stadtschlosses der herzoglichen Familie beteiligt war.

Bereits 1854 brannten jedoch Teile des 1843 unter Herzog Adolph vollendeten Bauwerkes mit dem Thronsaal und dem landständischen Sitzungssaal nieder. Da Carl Boos aus gesundheitlichen Gründen und aufgrund anderweitiger Verpflichtungen nicht zur Verfügung stand, beauftragte der Herzog dessen seinerzeit unterlegen Konkurrenten Philipp Hoffmann mit der Wiederherstellung und dem Ausbau des Gebäudes. Insbesondere oblagen Hoffmann, der die Arbeiten zwischen 1855 und 1857 durchführte, die Renovierung und die Neudekoration der Repräsentationsräume im ersten Stockwerk.

Preußisches Regierungspräsidium

Entgegen dem Willen der Landstände und der Bevölkerung beteiligte sich das Herzogtum Nassau auf ausdringlichen Wunsch und Drängens von Herzog Adolph 1866 an der Seite Österreichs am Deutschen Krieg. Mit dem Sieg der Preußen war das Herzogtum Nassau Geschichte. im Jahr 1868 ging es mit den ebenfalls annektierten Staaten Freie Stadt Frankfurt und Kurfürstentum Hessen (Hessen-Kassel) in der neugeschaffenen preußischen Provinz Hessen-Nassau auf. Provinzhauptstadt wurde die bisherige kurhessische Residenzstadt Kassel. Nassau und Frankfurt bildeten den Regierungsbezirk Wiesbaden.

Die herzoglich-nassauische Regierung wurde nun durch die preußische Verwaltung abgelöst. Das ehemalige Ministerialgebäude wurde Verwaltungssitz des neu geschaffenen Regierungsbezirkes Wiesbaden und diente zugleich auch als Dienst- und Wohnsitz des Regierungspräsidenten.

Auch die politischen Umwälzungen des Jahres 1918 und der Folgejahre, zunächst unter französischer Besatzung (bis 1925) und dann der britischen Rheinarmee (bis 1930), änderten nichts an der Funktion des Gebäudes: Es blieb bis 1945 preußisches Regierungspräsidium.

In den Jahren 1925/1926 erfolgte der Umbau zu einem reinen Verwaltungsgebäude. Ein neuer dreiflügeliger Bau wurde an die Flügel des Altbaus angefügt, sodass ein geschlossenes Viereck mit der Restfläche des ehemaligen Herrengartens als Innenhof entstand. Die Wohnung des Regierungspräsidenten wurde aufgegeben und die innere Raumaufteilung im historischen Gebäudeteil den Erfordernissen einer „modernen“ Verwaltung angepasst.

Hessisches Regierungsgebäude

Bereits Ende März 1945 bestimmten die Amerikaner Wiesbaden zum Sitz des Oberkommandos der amerikanischen Luftwaffe in Europa und zogen in das von ihnen dafür beschlagnahmte ehemalige Ministerialgebäude ein, das den Krieg im Gegensatz zu vielen anderen historischen Bauten der Stadt ohne Schäden überstanden hatte.

Nach der Gründung des Landes Hessen im Jahr 1946 und dem Auszug der Amerikaner im Jahr 1954 übernahm das Hessische Innenministerium das Gebäude bis zum Umzug in den Neubau an der Friedrich-Ebert-Allee 1968.

Seit dieser Zeit ist das ehemalige Ministerialgebäude Sitz des Hessischen Ministeriums der Justiz.

Vestibül, Ständesaal und Thronsaal – Wiederentdeckung und Wiederherstellung

Über Art und Umfang der Mitte der 1850er Jahre durchgeführten Arbeiten Philipp Hoffmanns war lange Zeit nur sehr wenig bekannt. Solange man sich erinnern konnte, waren die Wände im ersten Stock des Altbaus einfarbig gestrichen. Wand- und Deckenmalereien scheinen aber 1905 noch vorhanden gewesen zu sein, denn Leila von Meister, die Frau des damaligen Regierungspräsidenten, berichtet in ihren Erinnerungen, wie sehr sie sich – bei aller Kritik an den schlechten sanitären Verhältnissen – bei ihrem Einzug an den Dekorationen der „Empfangsräume“ erfreut habe. Vermutlich wurden diese im Zuge der Umwandlung in ein reines Verwaltungsgebäude in den 1920er Jahren erstmals übertüncht und verschiedene Umbauten in den Räumlichkeiten vorgenommen.

1980 fanden sich in Hoffmanns Nachlass farbige Entwurfszeichnungen mit der Aufschrift "Ministerialgebäude“. Restauratorische Voruntersuchungen für die Instandsetzung des seit Jahrzehnten als Bibliothek genutzten Raumes zeigten 1987, dass die originalen Malereien von 1855 unter den neueren Anstrichen zum Teil völlig unbeschädigt erhalten waren und es sich bei dem Raum um einen Teil des ehemaligen Thronsaales handelte. Die Öffnung der bis 1992 zugesetzten Arkaden zwischen Bibliothek und Flur, die Restaurierung und Ergänzung der erhaltenen Wandmalereien sowie die Rekonstruktion der Deckenfresken nach den Vorlagen Hoffmanns ermöglichte in den Folgejahren die Wiedergewinnung des originalen Raumkonzepts eines Thronsaales aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die nicht nur architektur- und kunstgeschichtlich, sondern auch politik- und gesellschaftsgeschichtlich von großer Bedeutung ist.

Heute dient der prächtige Thronsaal, in dem einst der Herzog von Nassau die Vertreter der Landstände empfing, als Repräsentations- und Festsaal und wird als „Historischer Saal“ bezeichnet.

2006 konnten dann das dem Thronsaal vorgelagerte Vestibül (heute: Kleiner Sitzungssaal) und der diesem gegenüberliegende Ständesaal (heute: Großer Sitzungssaal) renoviert und saniert werden. Hierbei zeigte sich, dass die ursprünglich von Philipp Hoffmann vorgeschlagenen Raumdekorationen nur in sehr reduzierter Form ausgeführt wurden. Warum dies der Fall war, ob aus „praktischen, finanziellen oder hierarchischen Gründen“ wie es in der Fachliteratur heißt, ist bis heute nicht geklärt.

Weitere Arbeiten Hoffmanns wurden 2006/2007 im östlichen Treppenhaus freigelegt und restauriert. Restauratorische Fenster, das sind oft nur wenige Zentimeter große Freilegungsproben, zeigen, dass es auch noch in den Treppenhäusern und im Flur des Zentralbaus malerische Dekorationen gibt, die bislang noch nicht freigelegt werden konnten.